Ein letztes Geschenk – die Geschichte einer Traumforelle

Diese kleine Erzählung dreht sich nicht nur um einen Ausnahmefisch, sie handelt von tiefster Dankbarkeit und Ehrfurcht, begleitet von einer großen Portion Wehmut. Es geht um eine besondere Forelle aus einem besonderen Fluss. Es geht um einen Lebensfisch, dessen Fang sich angesichts der Bedrohungen, denen Österreichs Fließgewässer ins Auge blicken müssen, für immer in mein Anglerherz eingebrannt hat. 

Ich fische nun seit 13 Jahren an unterschiedlichen Strecken der steirischen Mur. Dieser Fluss entspringt im Salzburger Lungau, bahnt sich seinen Weg durch das Bundesland Steiermark, durchfließt majestätisch die Hauptstadt Graz, um dann, weiter im Süden, slowenisches Staatsgebiet zu erreichen. Nach gut 460 Kilometern mündet sie an der kroatisch-ungarischen Grenze in die Drau.

Allein im Bundesland Steiermark zähmen 26 Wasserkraftwerke den wilden Charakter dieses einstigen Traumflusses, viele weitere sind gerade in Planung. So auch in dem von mir befischten Revier in der Obersteiermark. 

Doch zurück zum eigentlichen Thema: Salmo trutta fario. Über ein Jahrzehnt träumte ich vom Fang einer wild gewachsenen, kapitalen Bachforelle aus der Mur, „in season“, nicht etwa als Beifang beim Huchenfischen. Erzählungen solcher immer noch äußerst seltener „Kollateralschäden“ (ich spreche von Bachforellen jenseits der 70er Marke!) bei der Fischweid auf den unangefochtenen König der Mur, den Huchen, ließen dennoch ein wenig Hoffnung in mir keimen, irgendwann doch einen solchen Fisch überlisten zu können. 

Eines zeigen diese Beifänge allerdings: Große Bachforellen sind räuberisch! In entsprechenden Größen laben sich diese markanten Fische an kleineren bis mittleren Beutefischen, ganz oben im Kurs steht die Koppe. Es ist also nicht verwunderlich, dass sie manchmal auch große Huchenköder oder eine gehakte Forelle oder Äsche attackieren. Ein Fang eines solchen Fisches auf Nymphe oder Trockenfliege scheint angesichts seines Fressverhaltens fast unmöglich. Viel öfter bekommt man Bisse von großen Regenbogenforellen, die einerseits „anglerfreundlichere“ Standplätze wie schnellere Züge oder Rieselstrecken bevorzugen, andererseits aber auch besser auf Nymphen, Trockenfliegen und kleinere Streamer reagieren. 

Kapitale Bachforellen ticken anders. Sie sind zwar standorttreu, jedoch ist dieser Einstand oftmals schwer zu befischen. Gern stehen sie am Prallufer hinter markanten Steinen (wir nennen diese liebevoll „Murnockerl“) oder hinter Totholz. Eine saubere Drift der Nymphe oder Trockenen und somit eine effektive Präsentation wird zur Herausforderung. 

Der Weg zu einem solchen Traumfisch führt also unweigerlich über den Streamer. Um die Huchen in der Schonzeit auch wirklich zu schonen, sind Forellenstreamer in dem von mir befischten Revier auf 6cm Länge beschränkt. Und das ist gut so. Nur sehr selten „verirrt“ sich ein kleinerer Huchen und attackiert das Fischimitat. Zu dezent, zu unattraktiv ist dieser Köder für wirklich große Exemplare. Leider auch für dicke Bachforellen. Der Fang eines kapitalen Exemplars bleibt also, mehr oder weniger, reine Glückssache. Eine ernüchternde Erkenntnis, ich weiß. Die nun folgenden Zeilen könnten aber auch Sie etwas Hoffnung schöpfen lassen. 

Es war Juli 2020. Dieser Sommer gestaltete sich für eingefleischte Mur-Fliegenfischer zunehmend frustrierend. Kaum war das Schmelzwasser, das ein vernünftiges Fischen über mehrere Monate unmöglich gemacht hatte, gewichen, ließen heftige Regenfälle die Pegel der Mur ansteigen. Ihre Fluten waren hoch und trüb. Eine herkömmliche Fischweid mit der Standardausrüstung (5er Rute) war nur wenig erfolgversprechend. Für mich und mein Vorhaben boten diese Bedingungen jedoch eine Chance: Große Forellen stellen sich bei Hochwasser gerne in den strömungsärmeren Randbereichen ein. Dort suchen sie beruhigtere Zonen hinter größeren Steinen oder Ähnlichem. „Es drückt“ diese Fische regelrecht an die Randzonen des sonst reißenden Flusses. Die Temperaturen waren zudem moderat, keine Hitzewelle würde die Beißlust der Fische hemmen.

Am Fluss angekommen machte sich bei mir bescheidene Vorfreude breit, zumal die Sichtweite besser war als erwartet. Gräser in den überfluteten Randbereichen waren gut zu erkennen und spielten munter in der Strömung. Verstehen Sie mich nicht falsch, manch anderer Fliegenfischer hätte bei diesen Bedingungen womöglich das Weite gesucht. Mit guter Gewässerkenntnis und einer großen Portion Glück kann man das Blatt aber manchmal doch zum Guten wenden. 

Ich suchte einen meiner Lieblingsplätze auf. Es handelt sich um einen ca. 150 Meter langen Zug, in dessen Innenkurve sich einiges an Totholz abgelagert hatte. Hier herrscht wesentlich weniger Strömungsdruck als am reißenden Prallufer. Mit einem Wurf schräg stromab ließ ich meinen oliven Intruder in die grünbraunen Fluten tauchen. Nachdem etwas Schnur nachgefüttert wurde, um auf Tiefe zu kommen, fischte ich den Swing mit langsamen „Strips“ der Schnurhand konzentriert aus, um danach den Streamer an der eigenen Uferkante einzustrippen. Genau in diesem Moment kam ein recht verhaltener Biss. Im ersten Moment dachte ich an eine Durchschnittsforelle, da keine starke Flucht auf meinen Anhieb folgte. Nach weiteren Sekunden, in denen ich den gehakten Fisch kaum vom Grund wegbewegen konnte, war aber eines klar: Ich hatte sie endlich gehakt, die Kapitale! Es folgte ein Drill wie ich ihn bei einer Forelle noch nie zuvor erlebt hatte. Wie ein Karpfen bockte der Fisch am Grund, ließ sich 20m abtreiben, nur um dann in sicherer Entfernung gegen die Strömung zurückzuschwimmen, immer unterbrochen von trägen Kopfschlägen, die einem fast das Blut in den Adern gefrieren lassen. Zu oft hatte ich große Fische genau in dieser Phase des Drills verloren…

Ein erstes Mal zeigte sich die Forelle. Beim Anblick des massigen, gelb-braunen Körpers stockte mir der Atem! Es war eine Bachforelle, und was für eine! Es folgten weitere sture Fluchten, ehe ich den Fisch über den Kescher ziehen konnte. Erst als die gummierten Maschen sie zur Gänze umhüllten, fiel die Anspannung von mir ab. Einen Freudenschrei konnte ich kaum unterdrücken, wollte ich in diesem Moment auch nicht. Zu kostbar, zu rar war er. 

Der Fisch war makellos. Riesige Flossen und eine urtümliche Färbung unterstrichen den anmutigen Charakter dieser Forelle. Das Maßband zeigte 74 cm! Ich schätzte den Fisch auf ca. 6 Kilo. Ein Lebensfisch, der Fisch meiner Träume! 

Zum absoluten Traumfisch wird dieser Fang aber vielmehr durch die gegenwärtigen Umstände an den heimischen Fließgewässern! Somit komme ich zur Kehrseite der Medaille, der Kreis meiner kleinen Geschichte schließt sich langsam. Ihre Botschaft wird hoffentlich deutlich. 

Ich hatte an diesem Tag einen einzigen Biss! Vor einigen Jahren hätte man sich zu so einem Ausnahmefisch regelrecht „durchangeln“ müssen, zu gierig wären die Mäuler der mittegroßen und zahlreich vorhandenen Forellen gewesen. Doch vieles hat sich verändert. 

Ein Wasserkraftwerk reiht sich an das nächste, viele weitere stehen kurz vor der Umsetzung. Verheerende Stauraumspülungen vernichten in regelmäßigen Abständen ganze Jahrgänge, natürliche Laichareale werden und wurden für immer zerstört. 

Durch den zunehmenden Druck von Prädatoren wie Kormoran, Gänsesäger und Fischotter (letzterer vermehrt sich derzeit rasend schnell) sind Wildfischbestände in ernster Gefahr. In intakten Flusslandschaften könnten diese Beutegreifer sicherlich keinen so großen Schaden anrichten. Wir leben aber nun mal leider nicht in British Columbia, von frei fließenden Gewässern kann insbesondere in Österreich nicht mehr die Rede sein. Hierzulande stellen dann die genannten Fischfresser den letzten Faktor dar, der ein ohnehin äußerst fragiles System zum Einstürzen bringt. 

Die Bachforelle meiner kleinen Geschichte wird also in erster Linie nicht zum Traumfisch aufgrund ihrer Ausmaße, sie wird zu einem solchen, weil man so einen Fisch an den meisten Strecken nicht mehr erwarten darf. Sie ist ein Relikt durchdachter und liebevoller Hege, deren Lorbeeren längst durch andere Einflüsse zunichte gemacht wurden. Womöglich war sie ein letztes Geschenk. 

Ein letztes Geschenk „meiner“ Mur.