Glasklar?

Glass is not dead!

Jeder Fliegenfischer hat sich irgendwann die Frage nach der richtigen Rute gestellt. Welche Aktion liegt einem, was macht Sinn, und was braucht man nicht unbedingt. Ich habe die Antwort auf diese Frage im wahrsten Sinn des Wortes teuer bezahlt. Heute ist sie für mich natürlich glasklar und um es direkt vorweg zu nehmen: Kohlefaserruten sind Quatsch, für die meisten Angelsituationen sind sie die absolut schlechteste Wahl. Schmeißt die Dinger einfach weg, am besten sofort ;-). Damit hier keine Missverständnisse aufkommen, die ersten Kohlefaserruten, wie die Fenwick HMG oder die Scott G waren ein Quantensprung und sind immer noch ein Genuss. Aber das ist lange her. Zwar gibt es auch heute noch lobenswerte Ausnahmen, das Gros der Kohlefaserruten folgt aber dem Schneller-Größer-Weiter-Prinzip. Beleg gefällig? Bitteschön:

„Die X Rutenserie ist der Eintritt in eine neue Ära von Hochleistungs-Fliegenruten mit einer schnellen Aktion. Durch die innovative KonneticHD Technologie ergaben sich neue Ideen und nie dagewesene Möglichkeiten im Ruten-Design. Die Forschungs- und Entwicklungsabteilung von SAGE hat hart an dem optimalen Kohlefaser-Harz-Verhältnis gearbeitet. Das Ergebnis ist eine höhere Faserdichte im Rohmaterial. Zusätzlich wurden horizontale und vertikale Vibrationen reduziert, wodurch ein sehr akkurates und höchst effizientes Werfen mit unglaublichen Präsentationen ermöglicht wird.“

Liest sich wie die Karikatur einer Rute. Entnommen habe ich diesen Prachttext der aktuellen Ausgabe des 120kg schweren Rudi Heger Katalogs. KonneticHD ist uns natürlich allen ein Begriff. Darüber brauchen wir hier nicht reden. Dass endschnelles Weitwerfen Ehrensache ist, ist auch klar. Die einzig offene Frage wäre höchstens, ob diese Ära einläutende X Rutenserie auch Allradantrieb hat? Wenn nicht, das nächste Modell aus dem Hause SAGE hat ihn bestimmt.

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Ich hätte nur eine klitzekleine Anmerkung: Beim Hegerruditext und seiner SAGE X geht es ausschließlich um Technik und Werfen, schnelles Werfen, der Fisch und alles was mit seinem Fang zu tun hat, spielt in den Technologieorgien von SAGE und Co irgendwie keine Rolle mehr. Dabei heißt es doch Fliegenfischen und nicht Fliegenwerfen. Wichtiger ist anscheinend das Rauspfeffern von 40 Metern Schnur, plus X natürlich. Am besten mit Stahlvorfach, das vermutlich für die „horizontalen und vertikalen Vibrationseigenschaften“ der SAGE X am besten geeignet ist.

Wer kein überzüchtetes Leistungssportgerät will, wer Fisch und Schnur noch wirklich spüren möchte, wem individuelles Handwerk was bedeutet, der kauft sowas in der Regel nicht (mehr). Schaut man sich die vielen englischsprachigen Fliegenfischerforen an, dann wird die Zahl dieser Fischer immer größer. Was ist ihre Alternative?

Einen festen Platz haben nach wie vor gesplisste Ruten. Nur sind die sehr teuer und empfindlich. Eine andere Möglichkeit ist Glasfaser. Und damit wären wir beim Thema. Einst als billige Industrieschwabbel verrufen, erlebt dieses Material ein ähnliches Comeback wie Vinyl. Nur in Deutschland tut sich bisher wenig. Ich habe noch nie einen anderen Glas-Fischer getroffen. Warum ist das so?

Moderne Glasfaserruten haben mit ihren klassischen Vorgängern aus den 60ern und 70ern nicht mehr viel gemein. Sie sind deutlich leichter als früher und je nach dem auch nicht mehr so weich. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen E-Glas und S-Glas. E-Glas ist eher langsam. Das S-Glas ist flotter und steifer, näher an traditionellen Kohlefaser-, als an den alten Glasruten. Aber auch sie verfügen über dieses unvergleichliche Gefühl, das sonst nur Bambus bietet. Würfe von 10 bis 15 Metern sind kein Problem und für die meisten Mittelgebirgsflüsse vollkommen ausreichend. Rollwürfe lassen sich durch ihre tiefere Ladung spielend leicht durchführen. Aufgrund ihrer Elastizität schützen sie zudem dünne Vorfächer einfach besser und sind gleichzeitig robuster und bruchfester als Kohlefaser. Aber kommen wir zum Wesentlichen: Dem Fisch. Mit einer Glasfaserrute merkt man selbst leichte Zupfer. Beim Drill spürt man nicht nur die Bewegung des Tieres viel intensiver, plötzliche Fluchten lassen sich auch besser abfedern. Kleinere Fische fühlen sich zudem gleich 10cm größer an. Für einen stärkeren Drill haben moderne Glasruten dennoch genügend Rückgrat, um den Fisch zügig zu landen. Viele Glasfans sind sogar der Meinung, dass man mit einer Glasrute mehr Druck ausüben kann. Für Ruten bis Schnurklasse 5 und maximal 8 Fuß sind sie für mich das optimale Material. Dabei würde ich für Glas die klassische DT der WF stets vorziehen. Die kleine Firma 406 Fly Lines macht hier übrigens ganz phantastische Schnüre.

Kommen wir zum letzten Punkt, den Herstellern. Zwar machen inzwischen auch Redington, Orvis, Hardy, Scott und Thomas & Thomas wieder in Glas (SAGE natürlich nicht), der Grund liegt aber eher in der deutlich gestiegenen Nachfrage in den USA. Wirklich spannend sind die vielen kleinen Manufakturen. Schon mal was von Kabuto, Ijuin-Rod (beide Japan), Epic (Neuseeland), C. Barclay, Livingston, Steffen oder McFarland (alle USA) gehört? Diese Ein- oder Zweimannbetriebe legen großen Wert auf Tradition und Handwerk. Sie beraten einen ausführlich und gehen auf individuelle Kundenwünsche ein. Wer sich weiter über Glas kundig machen will, findet auf ihren Webseiten viele spannende Informationen. Einen guten Überblick geben außerdem das Fiberglassmanifesto oder Fiberglassflyrodders. Ihr solltet es einfach mal probieren, Schnelligkeit und Weite sind nicht alles. Wer Interesse hat, kann sich jederzeit bei mir melden. Zu meinen absoluten Lieblingen gehören übrigens die 8 Fuß 5er Kabuto, eine 7,5 Fuß 4/5er Barclay sowie eine 8,9 Fuß 6er Livingston. Letztere liegt eigentlich außerhalb des für Glas Sinn machenden Rahmens, ist aber ein Beweis dafür, dass sich dieses Material immer weiter entwickelt – jenseits eines überzogenen Technik- und Hochleistungsfetisch.

Warum also X-beliebige Ruten kaufen? Freu mich auf die Replik der Kohlefaser-Fraktion.

Marc de Bruyn

Gerne auch per Mail an: marc_de_bruyn@freenet.de